Das Problem von Experten ist – und auf irgendeinem Gebiet sind wir das alle -, dass sie sich einerseits dem Laien überlegen fühlen und andererseits dazu neigen, ihr Wissen detailliert auszubreiten. Beides verhindert letztlich fruchtbare Gespräche, weil das Gefühl der Überlegenheit offenes Zuhören und ausufernde Fachexkurse konstruktive Auseinandersetzungen verhindern.
Genauso wenig wie ein Tanzmusiker Noten lesen können oder Musiktheorie beherrschen muss, um zu wissen, wann die Musik falsch ist, oder ein Radfahrer einen Führerschein haben muss, um beurteilen zu können, ob ein Auto zu schnell fährt oder ein Stau entstanden ist, genauso wenig muss der Gesprächspartner alles über finanzielle Konstrukte und die Theorie des Geldmarktes wissen, um Fehler und Probleme der globalen Finanzströme zu erkennen. Viele ausgezeichnete Musiktheoretiker sind übrigens eher lausige Musiker, die häufig am Publikum vorbei ihre sorgsam ausgearbeiteten Werke präsentieren, die sicher von hoher Qualität sind, aber weder Bauch noch Beine erreicht.
Es ist ein beliebtes rhetorisches Totschlagargument der Experten, auf die Komplexität der Materie hinzuweisen; würde man die erst mal durchschauen, würde man die Notwendigkeit aller Maßnahmen auch verstehen. Wenn dem so wäre, hätte sich die Menschheit seit der Erfindung des Feuers nicht weiterentwickelt, weil nur die Feuermacher im Besitz des wichtigen Wissens waren und alle anderen nur noch staunend zuschauen durften. Gottseidank gab und gibt es immer wieder Menschen, die scheinbar ewige Wahrheiten in Frage stellen, und dabei zu völlig neuen und zumeist besseren Lösungen kommen. Ihnen hilft das, was die Experten behindert: freie Sicht aufs Ganze nämlich.
Um die zu bekommen, ist es immer ein guter Ansatz, die Dinge nicht in ihren komplexen Verästelungen zu betrachten, sondern auf ihre Wurzeln zurückzuführen, um den eigentlichen Kern zu erkennen, und den Überblick zu behalten.
Wenn es etwa um Finanzen geht, geht es im Grunde um das Verhältnis von Geld zu realen Gütern, wobei das Geld ein Platzhalter, oder auch Versprechen, und dadurch auch Tauschmittel für alle Dinge ist, die Menschen im täglichen Leben benötigen. Sehr praktische Erfindung, weil man nun mit leichtem Gepäck reisen kann und sich, wo immer man ist, das kaufen kann, was man gerade braucht (wenn es denn vorhanden ist!). Und fair, solange es realistische Tauschkurse gibt (1 Schwein=5 Sack Mehl etc.). Schwierig wird es erst beim Verleihen von Geld, weil wir es nun mit einer Wette auf die Zukunft zu tun bekommen. Die ist natürlich mit Risiken behaftet und deshalb erfanden die Geldverleiher den Zins (übrigens war der eine viel längere Zeit von Kirche und Königen strengstens verboten, als er nun erlaubt ist!). Der Zins hat eine wundersame Eigenschaft: er vermehrt das Geld, ohne dass zunächst reale Güter dafür stünden. Solange die Realwirtschaft genauso schnell und in gleicher Höhe wächst, wie die Kreditzinsen, wäre das kaum ein Problem. Und wenn man sich auf einen einmaligen Zins, also eigentlich eine Risiko- und Bearbeitungsgebühr, geeinigt hätte, könnte das sogar funktionieren, wenn man daran glaubt, dass Volkswirtschaften grundsätzlich gesund sind und wachsen.
Der Killer ist in Wirklichkeit der Zinseszins. Leider vermehren sich Güter nicht auf geheimnisvolle Weise über Nacht und entstehen aus reiner Luft, sie müssen gefertigt, Materialien gewonnen, Techniken erfunden werden usw., mit anderen Worten: sie kosten Zeit und Geld. Der Zinseszins braucht all das nicht, er entsteht aus dem Nichts und erzeugt immer neues Geld, das aber schon bald gar nicht mehr durch Waren gedeckt werden kann. Um das zu erkennen, muss niemand Mathematik studieren.
Im Ergebnis koppelt sich das Geldgeschäft immer mehr vom Leben der Menschen ab, findet sozusagen in einer Parallelwelt statt, wo substanzlose Milliardengeschäfte in Sekundenbruchteilen abgewickelt werden, wo jene, die Geld haben, das sie 'arbeiten' lassen können, irre Renditen einfahren. Aber wer bezahlt das?
Natürlich jene, die eben kein Geld haben, das für sie arbeiten könnte, die am Ende die realen Werte erst erzeugen müssen, also genau jene, die zu der mittellosen Hand-In-Den-Mund-Klasse gehören. Nur dass die sich ewig abstrampeln könnten, sie werden nie mehr die Höhen der Zinsberge ausgleichen. Und damit stellt sich die Systemfrage, die mittlerweile ja rund um den Globus von klugen Köpfen auch der Finanz immer lauter geäußert wird. Wenn Banken ständig ihr Mantra wiederholen, dass sie unverzichtbar sind und im Falle des Sturzes schwärzeste Nacht über die Erde hereinbricht, sollte uns das nachdenklich machen. Wenn Politiker und Finanzgrößen ständig das Banner 'systemrelevant' vor sich hintragen, sollten wir erst recht misstrauisch werden. Stellen wir uns eine Welt vor, in der nur noch Banken existieren, die miteinander großartige Geldgeschäfte abwickeln, Geld und die Vermehrung davon wird zum Selbstzweck, Menschen werden dafür nicht mehr gebraucht, dann hätten die 'Systemrelevantler' Recht. Für alle, die aber in der realen Welt leben, aufstehen, arbeiten, Bratwurst essen und Kinder großziehen, ist eines ganz klar, systemrelevant ist nur eines: der Mensch.
Es ist ein alter Hut, Geld kann man nicht essen. Die Menschen könnten im Ernstfall immer ganz ohne Banken leben, Kartoffeln anpflanzen und Tee trinken, umgekehrt funktioniert das nicht. Geld ist immer nur Mittel zum Zweck, es muss sich dem Alltag der Menschen unterordnen, darf ihn nicht dominieren. Ich bezahle zwar meinen Sportspaß-Beitrag, aber nutzen kann ich ihn nur, wenn sich Menschen bereitfinden, mit mir auf dem Court zu spielen, ich bekomme zwar Gage für einen Bandauftritt, aber der Wert lässt sich weder für Musiker noch für das Publikum in Euro messen. Wir erleben heute zweifellos die Dämmerung des Kapitalismus, der Zinseszins hat genug Metastasen gebildet um seinen Wirt zu töten. Es wird höchste Zeit für innovative Lösungen, höchste Zeit das Expertentum der Feuermacher in Frage zu stellen.
Die stehen nämlich wie die Raucher vorm Krankenhaus am Aschenbecher, etwas wackelig auf der Beinprothese, und saugen leidenschaftlich am Glimmstängel. Wenn man sie fragt, ob sie denn die Warnung nicht verstanden hätten, werden sie antworten, das schon, aber sie bräuchten nun mal die Droge, sonst könnten sie das Leben nicht aushalten. Na, dann…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen