Dienstag, 27. Dezember 2011

Freiheit I

Thema in der Umkleide war diesmal: Freiheit. Nach ein paar lustigen Bemerkungen dazu meinte einer lapidar, bevor er unter der Dusche verschwand, dass sie wichtiger wäre als der Tod. Das erschien uns anderen reichlich unlogisch, schließlich nützt die Freiheit niemandem, der sie nicht mehr nutzen kann. Andererseits, gab jemand zu bedenken, gibt es genug Beispiele, wo Tiere in Gefangenschaft bei dem Versuch sterben, sich zu befreien. Warum hören sie nicht vorher auf und finden sich ab? “Tiere können eben nicht denken”, war die allgemeine Erklärung. Aber gibt es nicht auch Menschen, die sich genauso verhalten, obwohl sie einen Verstand haben?

In einer Diktatur wäre es bestimmt sinnvoll ‘Unter dem Radar’ zu leben, mit den Wölfen zu heulen und zu sehen, wie man sich durchschlängelt. Wahrscheinlich gilt das sogar für jede beliebige Regierungsform; ansonsten riskiert man sozialen Abstieg, Ausgrenzung, Haft, Folter und schließlich Tod. Und dennoch tun Menschen immer wieder genau dies: mucken auf und versuchen, die Grenzen der gerade gültigen Regeln zu verschieben, sie in Frage zu stellen oder sie sogar zu ändern, nur um sich (und anderen) mehr Freiheit zu verschaffen.

Die Frage war nun natürlich, was Freiheit denn überhaupt ist? Geht es darum, immer und zu jeder Zeit genau dass zu tun, wozu man Lust hat, oder geht es darum, immer und zu jeder Zeit das NICHT zu tun, was andere von uns fordern? Ist Freiheit also ein anderes Wort für völlige Selbstbestimmung oder die Möglichkeit jederzeit NEIN zu sagen?

Schnell war klar, dass die Freiheit des Einzelnen an der Freiheit des Nächsten enden müsste. Klassischer Fall: jemand hört gern Death-Metal und das am liebsten zwischen 3 und 5 Uhr morgens, der Nachbar muss um 7 Uhr raus um seine Job als Busfahrer zu erledigen. Der eine will schlafen, der andere feiern. Die Freiheit des einen ist die Unfreiheit, Unterdrückung, des anderen. Die meisten würden hier wohl im Metal-Fan das Arschloch sehen, weil er den schwer arbeitenden Familienvater davon abhält, seinen Job vernünftig zu machen.

Aber ist es so einfach?

Ganz offensichtlich ist der schwer arbeitende Busfahrer unfrei. Er lebt nach dem Zeitplan des Transportunternehmens. Ihm wird gesagt, wann er wo zu sein hat, und wann er wieder über seine Zeit allein bestimmen darf. Sein Leben gehört ihm nur für ein paar Stunden, ansonsten ist es vermietet oder sogar verkauft.

Der Metal-Fan hingegen tut genau das, was er braucht, um sich in dem Moment wohl zu fühlen. Niemand verlangt von ihm, genau um 3 Uhr die Anlage aufzureißen und um 5 Uhr damit aufzuhören. Er tut es, weil er sich danach ‘fühlt’.

Scheinbar ist Freiheit etwas, das wir alle fühlen, aber nicht unbedingt denken können. Bevor wir erkennen, ob die Regeln, die unser Leben leiten, richtig oder falsch sind, fühlen wir es bereits. Dieses Gefühl ist wohl älter als unser Verstand. Wie ein ungeheuer feiner Seismograph misst es, wie viel Macht wir wirklich über unser Leben haben und schlägt Alarm, wenn es den, für uns eingestellten, Mindestwert unterschreitet.

Nein sagen können und selbstbestimmt sein, sind im Grunde die zwei Seiten ein und derselben Medaille, ohne das eine wäre das andere unmöglich. Können wir es nicht, verlieren wir nach und nach alles, was unser Leben überhaupt lohnend macht. Wenn das Leben aber nichts mehr wert ist und trotzdem weitergeht, ist es schlimmer als der Tod.

Als wir soweit mit der Diskussion waren, fragte jemand, ob und wie man einen chinesischen Ebay-Händler dazu bringen könnte, eine iPhone-Kopie mit zerbrochenem Display zu ersetzen. Ob man dem wohl mit dem deutschen Gewährleistungsrecht drohen könnte? Jaja, die Freiheit des globalen Marktes.

Montag, 5. Dezember 2011

Banken, Experten, virtuelles Geld

Das Problem von Experten ist – und auf irgendeinem Gebiet sind wir das alle -, dass sie sich einerseits dem Laien überlegen fühlen und andererseits dazu neigen, ihr Wissen detailliert auszubreiten. Beides verhindert letztlich fruchtbare Gespräche, weil das Gefühl der Überlegenheit offenes Zuhören und ausufernde Fachexkurse konstruktive Auseinandersetzungen verhindern.

Genauso wenig wie ein Tanzmusiker Noten lesen können oder Musiktheorie beherrschen muss, um zu wissen, wann die Musik falsch ist, oder ein Radfahrer einen Führerschein haben muss, um beurteilen zu können, ob ein Auto zu schnell fährt oder ein Stau entstanden ist, genauso wenig muss der Gesprächspartner alles über finanzielle Konstrukte und die Theorie des Geldmarktes wissen, um Fehler und Probleme der globalen Finanzströme zu erkennen. Viele ausgezeichnete Musiktheoretiker sind übrigens eher lausige Musiker, die häufig am Publikum vorbei ihre sorgsam ausgearbeiteten Werke präsentieren, die sicher von hoher Qualität sind, aber weder Bauch noch Beine erreicht.

Es ist ein beliebtes rhetorisches Totschlagargument der Experten, auf die Komplexität der Materie hinzuweisen; würde man die erst mal durchschauen, würde man die Notwendigkeit aller Maßnahmen auch verstehen. Wenn dem so wäre, hätte sich die Menschheit seit der Erfindung des Feuers nicht weiterentwickelt, weil nur die Feuermacher im Besitz des wichtigen Wissens waren und alle anderen nur noch staunend zuschauen durften. Gottseidank gab und gibt es immer wieder Menschen, die scheinbar ewige Wahrheiten in Frage stellen, und dabei zu völlig neuen und zumeist besseren Lösungen kommen. Ihnen hilft das, was die Experten behindert: freie Sicht aufs Ganze nämlich.

Um die zu bekommen, ist es immer ein guter Ansatz, die Dinge nicht in ihren komplexen Verästelungen zu betrachten, sondern auf ihre Wurzeln zurückzuführen, um den eigentlichen Kern zu erkennen, und den Überblick zu behalten.

Wenn es etwa um Finanzen geht, geht es im Grunde um das Verhältnis von Geld zu realen Gütern, wobei das Geld ein Platzhalter, oder auch Versprechen, und dadurch auch Tauschmittel für alle Dinge ist, die Menschen im täglichen Leben benötigen. Sehr praktische Erfindung, weil man nun mit leichtem Gepäck reisen kann und sich, wo immer man ist, das kaufen kann, was man gerade braucht (wenn es denn vorhanden ist!). Und fair, solange es realistische Tauschkurse gibt (1 Schwein=5 Sack Mehl etc.). Schwierig wird es erst beim Verleihen von Geld, weil wir es nun mit einer Wette auf die Zukunft zu tun bekommen. Die ist natürlich mit Risiken behaftet und deshalb erfanden die Geldverleiher den Zins (übrigens war der eine viel längere Zeit von Kirche und Königen strengstens verboten, als er nun erlaubt ist!). Der Zins hat eine wundersame Eigenschaft: er vermehrt das Geld, ohne dass zunächst reale Güter dafür stünden. Solange die Realwirtschaft genauso schnell und in gleicher Höhe wächst, wie die Kreditzinsen, wäre das kaum ein Problem. Und wenn man sich auf einen einmaligen Zins, also eigentlich eine Risiko- und Bearbeitungsgebühr, geeinigt hätte, könnte das sogar funktionieren, wenn man daran glaubt, dass Volkswirtschaften grundsätzlich gesund sind und wachsen.

Der Killer ist in Wirklichkeit der Zinseszins. Leider vermehren sich Güter nicht auf geheimnisvolle Weise über Nacht und entstehen aus reiner Luft, sie müssen gefertigt, Materialien gewonnen, Techniken erfunden werden usw., mit anderen Worten: sie kosten Zeit und Geld. Der Zinseszins braucht all das nicht, er entsteht aus dem Nichts und erzeugt immer neues Geld, das aber schon bald gar nicht mehr durch Waren gedeckt werden kann. Um das zu erkennen, muss niemand Mathematik studieren.

Im Ergebnis koppelt sich das Geldgeschäft immer mehr vom Leben der Menschen ab, findet sozusagen in einer Parallelwelt statt, wo substanzlose Milliardengeschäfte in Sekundenbruchteilen abgewickelt werden, wo jene, die Geld haben, das sie 'arbeiten' lassen können, irre Renditen einfahren. Aber wer bezahlt das?

Natürlich jene, die eben kein Geld haben, das für sie arbeiten könnte, die am Ende die realen Werte erst erzeugen müssen, also genau jene, die zu der mittellosen Hand-In-Den-Mund-Klasse gehören. Nur dass die sich ewig abstrampeln könnten, sie werden nie mehr die Höhen der Zinsberge ausgleichen. Und damit stellt sich die Systemfrage, die mittlerweile ja rund um den Globus von klugen Köpfen auch der Finanz immer lauter geäußert wird. Wenn Banken ständig ihr Mantra wiederholen, dass sie unverzichtbar sind und im Falle des Sturzes schwärzeste Nacht über die Erde hereinbricht, sollte uns das nachdenklich machen. Wenn Politiker und Finanzgrößen ständig das Banner 'systemrelevant' vor sich hintragen, sollten wir erst recht misstrauisch werden. Stellen wir uns eine Welt vor, in der nur noch Banken existieren, die miteinander großartige Geldgeschäfte abwickeln, Geld und die Vermehrung davon wird zum Selbstzweck, Menschen werden dafür nicht mehr gebraucht, dann hätten die 'Systemrelevantler' Recht. Für alle, die aber in der realen Welt leben, aufstehen, arbeiten, Bratwurst essen und Kinder großziehen, ist eines ganz klar, systemrelevant ist nur eines: der Mensch.

Es ist ein alter Hut, Geld kann man nicht essen. Die Menschen könnten im Ernstfall immer ganz ohne Banken leben, Kartoffeln anpflanzen und Tee trinken, umgekehrt funktioniert das nicht. Geld ist immer nur Mittel zum Zweck, es muss sich dem Alltag der Menschen unterordnen, darf ihn nicht dominieren. Ich bezahle zwar meinen Sportspaß-Beitrag, aber nutzen kann ich ihn nur, wenn sich Menschen bereitfinden, mit mir auf dem Court zu spielen, ich bekomme zwar Gage für einen Bandauftritt, aber der Wert lässt sich weder für Musiker noch für das Publikum in Euro messen. Wir erleben heute zweifellos die Dämmerung des Kapitalismus, der Zinseszins hat genug Metastasen gebildet um seinen Wirt zu töten. Es wird höchste Zeit für innovative Lösungen, höchste Zeit das Expertentum der Feuermacher in Frage zu stellen.

Die stehen nämlich wie die Raucher vorm Krankenhaus am Aschenbecher, etwas wackelig auf der Beinprothese, und saugen leidenschaftlich am Glimmstängel. Wenn man sie fragt, ob sie denn die Warnung nicht verstanden hätten, werden sie antworten, das schon, aber sie bräuchten nun mal die Droge, sonst könnten sie das Leben nicht aushalten. Na, dann…

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Kann Mann treu sein?

Neulich gab es in der Sport-Umkleide eine lebhafte Diskussion, ob der Mann im Prinzip treu sein kann oder es doch eher sein muss, um die damit verbundenen Vorteile zu genießen. Es gab keine einhellige Meinung dazu, hätte mich auch gewundert.

Die stärkere Fraktion vertrat den Standpunkt, dass der Mann sich zur Treue zwingen muss, weil die Natur eigentlich etwas anderes von ihm erwartet. Schaut man sich bei unseren nächsten tierischen Verwandten, den Affen, um, dann findet man alles mögliche, aber keine langjährigen Zweierbeziehungen. Tatsächlich gibt es immer ein Alphamännchen, das sich so viele Weibchen wie möglich unter den Nagel reißt, um seine Alpha-Gene weiterzugeben. Die anderen Männchen warten lauernd auf ihre Chance, entweder heimlich ein Weibchen zu schwängern oder selbst durch Kampf zum Anführer und Erbe des Harems zu werden. Oft werden dann die Sprösslinge des Vorgängers getötet, was zwar grausam ist, aber letztlich konsequent dem natürlichen Plan folgt, nur die Besten zu fördern.

Die kleinere Fraktion verwahrte sich dagegen, mit Affen verglichen zu werden, schließlich wäre der menschliche Mann (und natürlich auch die Frau, nur um die ging es hier nicht) einen Schritt weiter auf der Evolutionsleiter und hätte damit den Darwinismus überwunden. Zwar konnten sie nicht abstreiten, dass eine gutaussehende Frau mit kurzem Rock und prallem Dekolleté ziemlich eindeutige Wünsche hervorruft aber es wäre gerade ein Zeichen von Kultur, wenn man diesen Instinkten widersteht, sobald Mann erst mal in einer festen Beziehung ist.

Vereinzelte Stimmen führten ins Feld, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis bei einem Seitensprung einfach nicht stimmt. Für die paar lustvollen Minuten in fremden Laken die Scheidung, finanziellen Ruin oder Schlimmeres zu riskieren, wäre völlig überzogen. Aus diesem Grunde plädierten sie für Kopfkino, das könnte einem niemand verbieten und käme letztlich sogar der dem Partner zu Gute. Was allerdings ein paar Hardliner auf den Plan rief, die diese Art von Treue als Schummelei bezeichneten und meinten, dann könne man sich genauso gut trennen.

Jetzt ging es also um die Definition von Treue. Ab wann ist man untreu, wo ist die rote Linie? Darf man sich andere Partner ausmalen, darf man flirten solange man nur ‘zu Hause isst’, darf man auch mal einen one-night-stand haben, solange der einmalig bleibt? Muss davon der Partner etwas erfahren oder gehört das zum ganz Privaten, zum Recht auf persönliche Freiheit? Ist Treue automatisch eine Einschränkung dieser Freiheit oder führt sie sogar zu einer Erweiterung, weil zwei immer stärker und erfindungsreicher sind als der Einzelne?

Zur endgültigen Antwort reichte die Zeit natürlich nicht und wahrscheinlich bleibt sie auch für immer eine Illusion. Zudem hatten wir auch nur eine Facette des Themas am Wickel, nämlich die sexuelle Treue, was ist mit Freundes-, Vereins-, Marken-, Firmentreue? Wahrscheinlich nicht so bedeutend, aber dennoch wichtig. Jedenfalls ging ich mit dem Gefühl nach Hause, dass ich mich als Mann wohl in guter Gesellschaft befinde, wenn ich mich immer wieder frage, was für mich persönlich erlaubt ist und was nicht und ob die Treue zu meinem Partner meine Lebensqualität schmälert oder steigert.